Als in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts die Esoterik-Welle mit zunehmender Wucht über den Atlantik schwappte, machte dies den Wassermann einigermaßen populär. In mehr oder weniger kurzer Zeit waren alle irgendwie darüber informiert, dass eine neue Zeit angebrochen war, anbrechen würde oder dass zumindest eine steigende Anzahl von Menschen dies glaubte. Der Song „Aquarius“ aus dem Musical „Hair“ wurde oft bemüht, von „happiness and understanding“ war die Rede, ein ungeheurer Optimismus macht sich breit, und mitunter blieben einem von manch süßlichem Gerede die Sohlen am Boden kleben. Die neue Zeit hatte schnell einen Namen, nämlich das Wassermann-Zeitalter, und war doch erst einmal nicht mehr als eine Idee. Doch die Existenz dieser Idee und ihre zunehmende Verbreitung ließen die Menschen plötzlich das spirituelle Vakuum unserer Zeit spüren, die innere Leere und den Hunger nach Sinn. Der Begriff des Wassermann-Zeitalters wurde das Gefäß für heimatlose Sehnsüchte aller Art, allen voran die Sehnsucht nach „Ganzheit“. Dass diese Idee mehr war als eine Modeerscheinung oder die in schwierigen Zeiten regelmäßig auftretende Hoffnung auf den nahenden Erlöser in der Außenwelt, zeigte die nachfolgende Zeit selbst mit ihren ganz konkreten, radikalen und nicht selten brutalen Veränderungen.
Mit einigem zeitlichen Abstand betrachtet könnte man mittlerweile eher glauben, dass „happiness and understanding“ irgendwo auf der Strecke geblieben sind oder es sich in einer Art Parallelwelt ohne echten Einfluss auf die zerstörerischen Kräfte des Menschen spirituell-virtuell-gemütlich eingerichtet haben. Aus Ganzheit wurde Globalisierung, unter deren Etikett die Pole immer extremer auseinander driften. Aus Synergie wurden weltumspannende Konzerne, die Arbeitslosigkeit, Landlosigkeit, Geistlosigkeit, Ausbeutung und Hunger produzieren. Die intensivierte Spiritualität wurde zu Terror, was neben unsäglichem Leid eher globale Lähmung hervorbringt als kollektive Wandlung. Wassermann ist kein Pappenstiel, und diejenigen, die in der „Zwischen-Zeit“ leben – nämlich wir – erleben das mit aller Konsequenz. Willkommen im fixen Kreuz. Der Geist der Zukunft ist zwar aus der Flasche, aber noch unter dem Joch des Vergehenden versklavt. Sein echtes Antlitz können wir nur ahnen. Jedoch nicht in 15 Minuten Power-Yoga in der Mittagspause.
Was wollen wir kommenden Generationen weitergeben? Wie wollen wir sie befähigen zu einer neuen Zeit? Was soll als eine neue Errungenschaft der menschlichen Evolution in unsere und damit ihre DNA unwiderruflich eingeschrieben werden? Wirklich neu wäre es, jenes Wissen in unser Handeln und Denken zu integrieren, dass eine übergeordnete, intelligente und liebende Kraft in allem wirkt, und dass der Mensch sich dieser Kraft nicht entziehen kann. Stellen Sie sich vor, was möglich wäre, wenn die Menschen sich lieben lassen könnten vom großen Geist der Schöpfung, und wenn dieses Bewusstsein ihr Handeln bestimmen könnte. Wenn Sie, so wie Sie sind, Ihre Liebens-Würdigkeit ertragen könnten. Das wäre eine angemessene Hinterlassenschaft des Fische-Zeitalters, oder nicht? Wir sollten die Chance nutzen, ein Fische-Zeitalter kommt so schnell nicht wieder.
In unserer Übergangszeit vermischen sich Fische-Verwirrung und Wassermann-Zersplitterung, und die „alten Könige“ aller Couleur nutzen die Gelegenheit, um in einem letzten, wahnsinnigen Fest alles zu verprassen, oder anders: zu vermarkten. Dummerweise geht es dabei um die Erde - aber nicht „nur“ um sie: Es geht um den Geist, der isoliert wird. Es geht um den Körper, der verachtet wird. Es geht um die Seele, die erschöpft wird. Die Aufrechterhaltung des Dogmas der Getrenntheit von in Wahrheit Untrennbarem und die Verleugnung des femininen Geistes sind probate Mittel zur Verhinderung von Freiheit. Ganzheit wird damit in den Hobbybereich abgeschoben und soll möglichst keinen echten Einfluss auf die Machtverhältnisse haben. Der alte König möchte weiterfeiern, all seinen Lippenbekenntnissen zum Trotz.
Astrologie kann das Bewusstsein der Integrität allen Seins vermitteln und den Menschen zu sich selbst befreien. Astrologie befähigt zum Selbstdenken, das macht sie ausgesprochen subversiv und entsprechend wird sie ausdauernd diskreditiert. Die Kunst und die Musik teilen dieses Schicksal. Auch sie befähigen den Menschen zu eigenständigem, schöpferischem Denken und Tun und zur Wahr-Nehmung seiner Intelligenz. Wen wundert es da noch, dass sie als erstes „mangels Budget“ geopfert und in Lehr- und Haushaltsplänen gestrichen werden, durch Vermarktungsstrategien zu profitablen Wiederholungen des Alten verkommen, oder auf ewig vernichtet oder der sinnlichen Erfahrung entzogen werden. Das Internet, das Symbol der neuen Zeit, lässt jedoch hoffen, denn das Leben ist unbesiegbar und sucht sich immer seinen Weg. Und auch hier sehen wir den alten König in Todesangst agieren: Kein Anlass ist ihm zu gering und kein Mittel zu niedrig, um die flächendeckende Kontrolle darüber zu gewinnen. Notfalls mit der Verbreitung von Angst und Schrecken.
Aber der alte König wird sterben, er liegt ja schon siechend danieder, wenn auch gut geschminkt. Wir sollten vorbereitet sein und in einem ersten Schritt all unsere inneren Facetten wieder miteinander befreunden. Es ist das Leben selbst, das durch uns gefeiert werden will und uns seit jeher dazu aufruft, Selbst zu sein. Wir sollten die Anstrengungen nicht scheuen, seine Fragen bejahen zu können und zu wollen: Lebst du dich? Lebst du dich? Lebst du dich? Jede Mühe ist das wert. Wie sonst könnten wir zu einem Gefäß für Ideen werden, die das Leben feiern und Wunden heilen?
Februar 2016